Spielbeurteilung

The Light in the Darkness

15.01.2024
In „The Light in the Darkness“ spielen wir verschiedene jüdische Charaktere in Frankreich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Intention des kostenfreien Spiels ist es, über die Shoah aufzuklären und dadurch einen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten.
Das Spiel umfasst die Ereignisse in Frankreich zwischen dem 6. Juli 1938 und dem 3. August 1942. Die Handlung folgt einer polnisch-jüdischen Familie, bestehend aus dem Vater Moses, der Mutter Bluma und ihrem Sohn Samuel, sowie ihrer nicht-jüdischen Vermieterin Marie und dem Familienfreund Bernard, einem säkularen Juden, der von Algerien nach Frankreich immigriert ist. Das Spiel beleuchtet die verschiedenen Stationen im Leben dieser Charaktere während des Zweiten Weltkriegs, wobei Marie die Einzige ist, die diesen überlebt.
In einem der Minispiele sollen die Spielenden einen Judenstern auf die Kleidung der Familie nähen.

Das Spiel hat verschiedene Erzählstränge, die häufig ineinanderlaufen oder zeitlich parallel stattfinden. Zu Beginn werden vor allem Alltäglichkeiten gezeigt: Moses und Bluma gehen ihrer Arbeit nach, Samuel spielt mit Mitschülern, Bernard hat Liebeskummer. Das Jüdisch-Sein der Familie wird nur hintergründig durch bspw. eine Menora (ein Siebenarmiger Leuchter) auf einer Kommode deutlich – Antisemitismus, wie es ihn zweifelsfrei auch in Frankreich vor der Besetzung gegeben hat, wird nicht gezeigt. Nach der Machtergreifung durch die Nazis in Deutschland ändert sich auch der Alltag der Familie und ihrer Freunde in Frankreich deutlich und Ausgrenzung, Anfeindungen und Antisemitismus treten nun offen zu Tage. Trotzdem setzt sich Moses beharrlich dafür ein, seine Familie zusammenzuhalten und sie davon zu überzeugen, in Frankreich zu bleiben und nicht ins Exil zu gehen. Darüber hinaus versucht er, seinem Sohn die Angst zu nehmen und ihn zu einem "mutigen Juden" zu erziehen. Ein Jahr nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland, im Mai 1941, wird Moses allerdings ins Durchgangslager Pithiviers gebracht, kurz darauf nach Auschwitz deportiert und eine Texteinblende informiert darüber, dass er dort ermordet worden ist.
Das Spiel greift die antisemitische Propagandaausstellung “Le Juif et la France” auf.

Im Gegensatz zu Moses äußert Bluma von Anfang an erhebliche Besorgnis hinsichtlich des Krieges und der fragilen Sicherheit ihrer Familie. Als Moses deportiert wird und sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ihren Schneiderladen verliert, schwindet Blumas Hoffnung zusehends. Dennoch bemüht sie sich weiterhin, Samuel zu beruhigen. Bald werden sie zusammen in ein Übergangslager gebracht und getrennt voneinander nach Auschwitz deportiert, wobei ebenfalls textlich darauf hingewiesen wird, dass sie dies nicht überleben.
Anschließend gibt es eine historische Einordnung, in der sich auch das Originalplakat findet, welches ins Spiel implementiert wurde.

Bernard konvertiert im Laufe des Spieles aufgrund einer Liebesbeziehung zum Christentum und fühlt sich von da an vor den Nationalsozialisten sicher. Allerdings muss er bald feststellen, dass ihn selbst seine überzeugte Konversion nicht vor dem steigenden Antisemitismus und einer möglichen Deportation schützt. Als ihm das vollends bewusst wird und er beobachtet, wie weitere Jüdinnen und Juden in Transporter getrieben werden, stürzt Bernard sich vom Hausdach und stirbt.

Marie persönlich erfährt zwar keine unmittelbaren Auswirkungen der Kriegsbedingungen; dennoch versucht sie, den Schutz von Moses Familie und Bernard zu gewährleisten. Dies manifestiert sich in konkreten Vorschlägen für mögliche Fluchtrouten, kritischer Äußerungen zur lokalen und judenfeindlichen Ausstellung "Le Juif et la France" sowie in ihrem Einsatz, die Handlungen der Polizei zu behindern, um Bluma und Samuel vor der Festnahme zu bewahren.
Jakob und Moses diskutieren im Konzentrationslager darüber, wie sicher Frankreich für Juden war und ist.

Abschließend zeigt das Spiel ein mögliches weiteres Leben für die Charaktere, wenn es die Shoah nicht gegeben hätte: So wären Moses und Bluma zusammen alt geworden, Bernard hätte seine Traumfrau gefunden und Samuel wäre Kinderbuchautor geworden. Der Abspann würdigt die Beteiligten und zeigt Bilder von Menschen, die während der Shoah ermordet wurden.
Am Ende des Spiels finden sich Überlegungen, wie das Leben der Protagonisten verlaufen wäre, hätte die Shoah niemals stattgefunden.

Die Spielmechanik besteht hauptsächlich aus langsamem Hin- und Hergehen und Dialogen oder Cutscenes, weswegen die Spielenden einen Großteil der Zeit nicht mehr tun müssen, als den Joystick in eine Richtung zu halten oder einen Knopf mehrfach hintereinander zu drücken. Allerdings wird sie durch fünf Minispiele ergänzt. Zu Beginn steuert der Spieler Samuel in einer Partie 'Jacques a dit', einem französischen Äquivalent von ‘Simon Says‘, bei der seine Freunde ihm später die Teilnahme verweigern. Moses setzt als weiteres Minispiel einen Fuchs aus verschiedenen Holzstücken zusammen, um ihn Samuel zu schenken. Als Moses zur Caserne Napoléon geht, um seinen Einwanderungsstatus überprüfen zu lassen, übernehmen wir Bluma, um die für seinen Abtransport geforderten Gegenstände zu sammeln. Später sortieren wir als Bernard in Form eines Puzzlespiels verschiedene Kisten aus dem Schneiderladen in einen Transporter, nachdem Moses deportiert und der Familien dieser abgenommen wurde. Zuletzt müssen wir uns nach der Szene der antisemitischen Propagandaausstellung 'Le Juif et la France' als Bluma einen Judenstern auf die Kleidung nähen.

Während des Spiels werden immer wieder Originalaufnahmen, Videos und Bilder zwischen den Spielszenen eingebaut und mit schriftlichen Erläuterungen ergänzt. Einige Objekte, mit denen die Figuren interagieren, wie die Liste der Gegenstände, die Bluma für Moses sammeln muss, werden durch Originalfotografien dargestellt.

Das Spiel kommt ohne Gewaltdarstellungen aus, auch den Selbstmord sieht man nicht aktiv, allerdings sieht man Bernards Leiche auf dem Boden liegen.
Platzhalter
Dieses Spiel wurde getestet von:
Rebecca Hedenkamp und Carolin Puckhaber (Theologinnen)

Pädagogische Beurteilung:

„The Light in the Darkness“ besticht vor allem durch seine Entstehungszusammenhänge und das Selbstbewusstsein seines französischen Entwicklers Luc Bernard, welcher seit einigen Jahren in den USA lebt und arbeitet. So twitterte dieser beispielsweise, mit seinem Werk das “erste Spiel über den Holocaust” entwickelt zu haben. Dies stimmt nur teilweise. Es gibt einige Spiele, die sich implizit oder explizit mit der Shoah auseinandersetzen (eine Übersicht hierfür gibt es beispielsweise auf der Datenbank Games und Erinnerungskultur), dabei jedoch vorrangig einen Fokus auf Widerstand oder alternative Realitäten setzen. Bernard möchte vor allem eines: eine Personifikation mit den jüdischen Charakteren hervorrufen, sodass die Spielenden die historischen Geschehnisse der Shoah “nachvollziehen” können. Dieses Hineinversetzen in Opfer des Nationalsozialismus ist jedoch sowohl moralisch als auch didaktisch problematisch, da es zu einer Überwältigung der Spielenden kommen kann. Allerdings nutzt der Entwickler diesen Fokus sogar ganz bewusst, und teilt online seine Freude darüber, wie emotional Spielende durch sein Spiel werden würden.

Diese Zielrichtung muss für die didaktische Einordnung und auch vor der konkreten Einbettung in pädagogische Kontexte mitgedacht und eingeplant werden. Im besten Fall wird diese mit den Lernenden konkret thematisiert, problematisiert und reflektiert. Dies wirkt sich auch auf die Altersempfehlung des Spiels aus. Das Spiel ist auf einer rein mechanischen Ebene schon für jüngere Spielende geeignet – daher wahrscheinlich die PEGI 3-Empfehlung – , durch die zwingend notwendige pädagogische Begleitung und das Vorwissen, was das Spiel voraussetzt, wird jedoch empfohlen, das Spiel erst ab einem Alter von etwa 15 oder der Klassenstufe 10 einzusetzen. Ob es sich für einen konkreten Einsatz jedoch überhaupt eignet, ist dabei von unterschiedlichen Faktoren abhängig: So müssen Spielende ganz grundlegend zunächst einmal fachliches Englisch beherrschen, um sowohl die Dialoge als auch die Zwischentexte lesen und verstehen zu können. Daran anschließend muss auch Wissen über die Shoah und den Zweiten Weltkrieg vorhanden sein, um die hier gezeigten Phasen der Shoah in Frankreich nachvollziehen zu können.

Da der Entwickler wenig konkret historisch einordnet und es oft den Spielenden überlässt, sich über gezeigte Inhalte und Gegebenheiten zu informieren, ist es außerdem wichtig, eine hohe Sensibilität im Umgang mit gezeigten „Fakten“ zu besitzen, vor allem im Gegenüber zur starken Emotionalisierung durch die Art des Spiels. Das Storytelling bedient eine Betroffenheitsperspektive und möchte diese auch bei den Spielenden hervorrufen. Diese zeigt sich sowohl durch die Auswahl der gezeigten Ereignisse, als auch durch den Einsatz von Musik und Bildquellen. Auch die Endsequenz, in der gezeigt wird, wie sich die Protagonisten des Spiels entwickelt hätten, wenn die Shoah nicht stattgefunden hätte, ist dahingehend zu kritisieren. Sie verkennt den allgemein verbreiteten Antisemitismus, der auch unabhängig der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs existierte und bis heute existiert. Auch trägt sie zu einer Überstilisierung der Opfer bei, welches zu einer verzerrten Erinnerung führt. Diese Betroffenheitspädagogik ist per se schon umstritten in der Holocaust-Education, wie sich bspw. auch dem, im Beutelsbacher Konsens formulierten, Überwältigungsverbot zeigt.

Luc Bernard versucht, die Spielenden dabei nicht nur durch die Charakterzeichnung betroffen zu machen, sondern auch durch die einprogrammierten Minispiele. Diese problematische Prämisse misslingt ihm in der Umsetzung gänzlich. So reagieren die Charaktere nicht auf die Minispiele, die scheinbar nur um des Spielens wegen eingefügt wurden. Nichtsdestotrotz ist es fraglich, ob und in wie weit diese Aspekte der Shoah überhaupt spielbar gemacht werden sollten. Ist es für Spielende hilfreich, dies zu tun, um die Gräuel des Nationalsozialismus und Antisemitismus konkret zu machen?

Luc Bernard hat diese Art von Erinnerungspädagogik nicht erfunden, sondern dockt mit seinem Spiel an viele weitere Ausformungen dieser auch im realen Leben an. In vielen Gedenkstätten ist es bspw. möglich, in einen nachgebauten Eisenbahnwaggon zu steigen, um ein angeblich authentisches Erleben hervorzurufen. Gerade in diesem Spiel wird es jedoch auf die Spitze getrieben, sodass es wichtig ist, dies nach dem Spielen zu reflektieren und zu diskutieren. Ohne diese Möglichkeit ist die Spielbarkeit fraglich. Diese Reflexion kann und sollte auch die evozierte Betroffenheit auffangen und versuchen einzuordnen, wie und warum das Spiel Menschen emotional zurücklässt.

„The Light in the Darkness“ sollte lediglich dann in pädagogischen Kontexten eingesetzt werden, wenn es thematisch klar um die Erinnerungskultur nach der Shoah geht. Für ein Eintauchen in die historischen Zusammenhänge oder einen Wissenszuwachs über die Shoah ist das Spiel nicht geeignet. Stattdessen ist es interessant, über das Spiel selbst, seinen Entwickler und seine Entstehungszusammenhänge zu sprechen. Dies kann für Lernende insofern eine Bereicherung darstellen, als dass dadurch ihre Selbstverortung in erinnerungskulturellen Diskursen geschult und ihre Sensibilität gegenüber Medien, die die Shoah thematisieren, (weiter-)entwickelt werden kann.

Fazit:

„The Light in the Darkness“ weist auf verschiedenen Ebenen Schwächen auf, die sich nicht nur inhaltlich durch oberflächlich gezeichnete Charaktere äußern, sondern auch in den sperrigen Spielmechaniken. Gleichzeitig steht für Luc Benard die Emotionalisierung der Spielenden klar im Fokus und wird zudem seinem aufklärerischen Anspruch nicht gerecht. Diese Schwächen können in einem gut begleiteten pädagogischen Kontext jedoch zu Chancen werden, indem man das Spiel als Gegenstand aktueller Erinnerungskultur reflektiert.
Platzhalter
Dieses Spiel wurde beurteilt von:
Rebecca Hedenkamp und Carolin Puckhaber (Theologinnen)

Siehe auch

Spielbeurteilung

Train To Sachsenhausen

Gerade noch freuen wir uns auf das Studentenleben in Prag, da verändert die Besetzung der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland alles. Wegschauen oder Widerstand – in Train to Sachsenhausen haben wir die Wahl.

Spielbeurteilung

Spuren auf Papier

Das Rätselspiel „Spuren auf Papier“ widmet sich den NS-Krankenmorden. In einer Heilanstalt kommt die junge Frau Anna zu Tode. Ihre Schwester Josephine versucht, ihre Geschichte zu ergründen.

Spielbeurteilung

Through the Darkest of Times

Dieses ausgezeichnete Strategiespiel macht den Widerstand gegen den Nationalsozialismus spielerisch erlebbar. Mit dem passenden Konzept ist sogar ein Einsatz im Schulunterricht möglich.

Bildnachweise

[1]The Light in the Darkness / Arcade Distillery / Screenshot by spielbar.de[2]The Light in the Darkness / Arcade Distillery / Screenshot by spielbar.de[3]The Light in the Darkness / Arcade Distillery / Screenshot by spielbar.de[4]The Light in the Darkness / Arcade Distillery / Screenshot by spielbar.de[5]The Light in the Darkness / Arcade Distillery / Screenshot by spielbar.de[6]The Light in the Darkness / Arcade Distillery / Screenshot by spielbar.de[7]Train To Sachsenhausen / Studio Charles Games / Screenshot[8]Spuren auf Papier / Playing History / Screenshot[9]Through the Darkest of Times / HandyGames / Screenshot by spielbar.de