Spielbeurteilung

Sea of Solitude

17.02.2020
Die junge Frau Kay führt einen Kampf gegen die Einsamkeit. Dafür muss sie sich der Vergangenheit und ihren inneren Monstern stellen. Im Fokus des Spiels stehen Selbstzweifel, Depression und der zwischenmenschliche Umgang damit.
„Ich habe Familie. Ich habe Freunde und doch bin ich hier und fühle mich einsam. Was stimmt nur nicht mit mir?“ Mit dieser Frage im Kopf und dem Ziel, sich aus dieser Situation zu befreien, beginnt die Protagonistin Kay ihre Reise. Sie erwacht in einem Boot treibend auf dem offenen Meer und folgt einer Lichtsäule – in der Hoffnung nach einem Weg aus ihrer Einsamkeit heraus. Dabei ist sie selbst eine Mischung aus Mensch und Monster. Sie ist zwar grundsätzlich als junge Frau erkennbar, doch wirkt sie eher wie ihr eigener düsterer Schatten mit dichtem Fell und leuchtend roten Augen.
Kays Selbstbild ist durch ihre Einsamkeit gestört. Im Spielverlauf ändert sich ihr Blick auf sich selbst.

Das namensgebende Meer der Einsamkeit ist der Schauplatz der Handlung. In ihm sind die Häuser einer Stadt versunken, die Kay mit dem Boot, zu Fuß oder schwimmend auf dem linearen Weg durch die Spielwelt erkundet. Verschiedene Monster halten ihre Reise auf. Kay umgeht oder überlistet sie. Die Steuerung und die Spielmechanik bleiben bis zum Spielende simpel, da sich „Sea of Solitude“ vor allem auf Kays Geschichte sowie die Metaphorik hinter Monstern und Schauplätzen fokussiert. Die Texte des Spiels sind nur auf Englisch vertont. Es gibt zwar deutsche Untertitel, aber es kann schwierig sein, diesen im Spielgeschehen zu folgen.

Die Monster und ihre Bedeutung


Bei Kays Reise in ihre Vergangenheit plagen sie Selbstzweifel. Die Monster stehen für bestimmte Emotionen und Personen. Denn das Spiel erzählt nicht nur Kays Geschichte, sondern lässt die Spielenden auch Ereignisse um ihre Familie und ihren Freund miterleben. Kays Bruder litt unter Mobbing, die Eltern trennten sich und Kays erste Beziehung zerbrach an den Depressionen ihres Freundes.
Die Gestaltung der Monster verbildlicht ihre Ängste und Handlungen. Kays Bruder Sunny wünscht sich, dem Mobbing einfach davonzufliegen.

Die anderen Personen nehmen zunächst die Form von Monstern an. Erst durch die Auflösung des zugehörigen Konflikts kann Kay sie wieder als Menschen sehen. Dabei wird sie in jedem der Handlungsabschnitte auch mit dem eigenen Verhalten konfrontiert.
Aufgehalten wird sie bei diesem Auseinandersetzungsprozess mit ihrer Vergangenheit immer wieder von inneren Monstern, die Kays Weg blockieren oder sie attackieren. Sie stellen keine Personen sondern Kays eigene Unsicherheit und Zweifel dar. Kay muss diesen inneren Monstern ausweichen oder sie in Lichtquellen locken, um sie zu besiegen Am Ende des Spiels findet sie schließlich einen konstruktiven Umgang mit ihnen.

Die Atmosphäre des Spiels ist häufig düster und bedrohlich. So muss Kay unter Todesdrohungen düstere Gänge durchschleichen oder bei Nacht ein Gewässer durchqueren, in dem ein Seeungeheuer lauert. Aber das Spiel hellt sich auch regelmäßig auf und wird bunter. Kay erkundet dann gefahrlos ein sonnenbeschienenes Meer oder erlebt berührende Momente wie das erste Date ihrer Eltern.
Nach etwa drei bis vier Stunden Spielzeit werden SpielerInnen mit einem hoffnungsvollen Ende belohnt. Denn Kay hat gelernt, mit der Vergangenheit und ihren Zweifeln umzugehen und führt voller Zuversicht ihr Leben weiter.

Zugängliche Spielmechaniken


Der Weg zum Ende ist unkompliziert gestaltet. Von Anfang an erhält Kay die Fähigkeit, eine Lichtkugel zu schießen, die sie zum nächsten Ziel führt. Somit ist immer deutlich, wohin sich die SpielerInnen wenden sollen. Die Steuerung ist einfach, denn viel mehr als laufen und springen muss Kay im Spielverlauf nicht. Alle weiteren Handlungen und die dafür benötigten Tasten werden eingeblendet.
Die Lichtkugeln fliegen auf direktem Weg zu Kays nächstem Ziel.

Auch die Monster oder sonstigen Hindernisse sind nur kleine Herausforderungen. In den meisten Fällen muss man nur das richtige Timing finden, um den gewünschten Weg gefahrlos zurückzulegen. Wer scheitert, kann es vom letzten Rücksetzpunkt erneut versuchen. Da diese regelmäßig verteilt sind, gehen nie mehr als ein paar Minuten Spielfortschritt verloren.
Außerdem lässt sich jeder Abschnitt des Spiels aus dem Hauptmenü laden. Es ist also kein Problem, wenn das Spiel einmal unerwartet unterbrochen werden muss, oder ein bestimmter Abschnitt in der Reflektion wiederholt werden soll. Dann lässt sich dieser gezielt anwählen und es kann an der gewünschten Stelle weitergespielt werden.
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Dieses Spiel wurde getestet von:
Severin Schwalb (bpb)

Pädagogische Beurteilung:

„Sea of Solitude“ behandelt Probleme, die in der Spielelandschaft und in der gesellschaftlichen Debatte zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Doch das alleine macht es leider noch nicht zu einem empfehlenswerten Spiel. Man merkt, dass es sich um ein sehr persönliches Projekt handelt, das versucht, mit schweren Themen angemessen umzugehen. Auf bildlicher Ebene gelingt das, da gerade die Monster eingängige Metaphern für die jeweiligen Probleme darstellen. Gleichzeitig scheitert es aber auf sprachlicher Ebene. In den Texten benennen die Personen häufig unvermittelt ihre Gefühle, oder sprechen ihren Appell gegenüber der Spielfigur wörtlich aus. Anstatt die Aussagen in der gelungenen Bildmetaphorik zu verpacken, werden sie durch hölzerne Dialoge vermittelt und somit entwertet.
Statt die Aussagen des Spiels in die Handlung einzubetten, werden sie plakativ in den Dialogen ausgesprochen.

Eine Verschränkung von Spielmechanik und Erzählung findet kaum statt. Statt Kays Gefühlswelt auf spielmechanischer Ebene erlebbar zu machen, beschränkt sich diese auf das Abwarten des richtigen Zeitpunkts und simple Jump 'n' Run Abschnitte. So beobachtet man Kay nur, statt mit ihr mitzufühlen. Als Appell für den zwischenmenschlichen Umgang miteinander, lassen sich die Aussagen des Spiels simpel zusammenfassen: Es fordert, sich gegenseitig zuzuhören, Freiräume zu lassen und den Mut zum Selbstbewusstsein. Diese Aussagen sind als Annäherung an das Thema zwar richtig, wirken jedoch in Hinsicht auf die drei- bis vierstündige Spieldauer mager.

Altersempfehlung


Durch die reduzierte Grafik verpuffen die besiegten Schatten harmlos. Die gewaltvollste Szene zeigt, wie Kay von einem Seeungeheuer gefressen wird. Die düstere Gestaltung des Monsters mit großen Fangzähnen ist zwar schockierend, aber das Geschehen wird nicht übertrieben brutal dargestellt.
In mehreren Spielabschnitten lauert das Monster als Gefahr im Wasser. Es gehört zu den gruseligsten Darstellungen des Spiels.

„Sea of Solitude“ ist von der USK ab zwölf Jahren freigegeben. Die Spielmechanik ist simpel genug, um auch von jüngeren Kindern beherrscht zu werden. Die Gestaltung der Monster verbildlicht die Emotionen und Personen verständlich und Fragen, die das Spiel verhandelt, werden deutlich kommuniziert. Auch bieten sich mit Problemen wie Mobbing und Familienstreitigkeiten Anknüpfungspunkte an die Erfahrungswelt von Jugendlichen. Es sind jedoch gute Englischkenntnisse nötig, um der Handlung in vollem Maß zu folgen. Als alleiniger medialer Beitrag zur Aufklärung in Sachen Einsamkeit und Depression ist es wegen der Simplifizierung nicht zu empfehlen. Das Spiel eignet sich eher als Grundlage für eine weitergehende Diskussion.

Aufgrund der behandelten Themen und der düsteren Atmosphäre ist das Spiel für Jugendliche ab 14 Jahren geeignet. Auch in diesem Alter sollten die Inhalte des Spiels jedoch nachbesprochen werden. Falls das Spiel nicht vollständig durchgespielt wird, ist dies besonders relevant. Im ersten Spieldrittel werden SpielerInnen mit vielen düsteren Abschnitten konfrontiert. Die Auflösung findet erst im späteren Spielverlauf statt. Erst dann schöpft Kay Zuversicht. Brechen SpielerInnen das Spiel früher ab, überwiegt die hoffnungslose Negativität.

Fazit:

„Sea of Solitude“ traut sich, mentale und zwischenmenschliche Probleme zu thematisieren; die Umsetzung ist spielerisch wie sprachlich sehr einfach geraten. Für Jugendliche mit guten Englischkenntnissen könnte es als Ausgangspunkt für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Themen wie Einsamkeit, Depression und Selbstzweifel genutzt werden.
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Dieses Spiel wurde beurteilt von:
Severin Schwalb (bpb)

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Bildnachweise

[1]Sea of Solitude / Electronic Arts[2]Sea of Solitude / Electronic Arts / Screenshot by spielbar.de[3]Sea of Solitude / Electronic Arts / Screenshot by spielbar.de[4]Sea of Solitude / Electronic Arts / Screenshot by spielbar.de[5]Sea of Solitude / Electronic Arts / Screenshot by spielbar.de[6]Sea of Solitude / Electronic Arts / Screenshot by spielbar.de[7]Life Is Strange 2 / Square Enix / Pressebild[8]Pressematerial, X. D. Network