Computerspiele-Konferenz in Magdeburg

Spiele, Spielende & Spielkulturen: Stand und Perspektiven

24.04.2009
Computerspiele sind ein junges Forschungsfeld, das zahlreiche wissenschaftliche Fachrichtungen beschäftigt. Die Magdeburger Konferenz „GameCultures“ führte die unterschiedlichen Perspektiven zusammen. spielbar war vor Ort und resümiert das Tagungsgeschehen.

Vom 19. bis 21. März lud der Lehrstuhl für Erziehungswissenschaftliche Medienforschung an die Otto-von-Guericke-Universität nach Magdeburg. Offizieller Titel der internationalen Konferenz: „Computer Spiele / Spieler / Spielkulturen: Stand und Perspektiven der Computerspielforschung“.

Den Initiatoren der Veranstaltung ging es in erster Linie darum, den internationalen Forschungsstand auch hierzulande sichtbar zu machen. Dazu sollten all diejenigen zusammengeführt werden, die sich wissenschaftlich mit Computerspielen beschäftigen, gleich aus welchen Fachrichtungen sie stammen. Die Fragestellungen fokussierten folglich medienpädagogische, soziale, ästhetische, kulturelle wie gesellschaftspolitische Bedeutungen von Computerspielen.

Die Organisatoren tischten ein enormes Programm auf. Fünf Keynotes international renommierter Forscherinnen und Forschern sowie sechs inhaltliche Schwerpunkte (Panels) bildeten das Gerüst der Konferenz. Um das alles in drei Tagen unterzubringen, fanden über weite Strecken zwei Vorträge parallel statt. Zudem wurde im Vorfeld Doktoranden ein eigenes Forum geboten, in dem sie ihre Ideen und Projekte dem Fachpublikum präsentieren konnten. Weitere Forschungs- und Praxisprojekte wurden in einer Poster-Session im Fünfminutentakt vorgestellt.

Die Brücke zur medienpädagogischen Diskussion wurde schließlich am letzten Veranstaltungstag geschlagen. Bernward Hoffmann, Heinz Moser, Jens Wiemken und Bernd Schorb zogen auf dem Podium ihre ganz eigenen Schlussfolgerungen aus der Konferenz. Zentrale medienpädagogische Einrichtungen verankerten politische Forderungen außerdem in einem gemeinsamen Manifest.

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Die Keynotes

Für die Keynotes wurden prominente Forscherinnen und Forscher gewonnen. Sie formulierten wichtige Grundgedanken. Den Anfang machte der britische Autor und Spielforscher Richard Bartle mit seinem Vortrag „MMO Morality“. Er thematisierte die Erwartungen, welche die Spielenden an ein Spiel haben. Welche moralischen Vorstellungen haben sie von einem Spiel im Vorfeld? Welche Grenzen setzen sie sich selbst? Und was passiert schließlich, wenn die Spielsituation erfordert, die eigenen Grenzen zu überschreiten? Wird das Spiel an dieser Stelle beendet? Ein Denkanreiz für alle Zuhörenden.

Christoph Klimmt fokussierte die Herausforderungen, mit den die Erforschung der Computerspielnutzung aktuell konfrontiert ist. Diese sind zum einen organisatorischer Natur, da die Wissenschaft nur schwer an repräsentative Daten kommt. Zum anderen treten methodologische Probleme auf. Zum Beispiel sind die Selbsteinschätzungen der Spielenden, wie sie in Fragebögen erhoben werden, häufig fehlerhaft. Gründe sind die mangelnde Motivation der Teilnehmenden und das Flow-Erlebnis, welches die Zeitwahrnehmung der Spielenden verzerrt. Dennoch ist es für die medienpädagogische Arbeit wichtig, gut über Computerspielnutzung Bescheid zu wissen. Ansonsten fällt es schwer, die Phänomene zu erklären. Klimmts Vision: eine internationale Stiftung, welche die Computerspielnutzung global und täglich anhand repräsentativer Stichproben misst.

Ein seltener beleuchtetes Thema griff Tanja Krzywinska auf. Ihr ging es um die Frage, warum sexuelle Darstellungen in Computerspielen eine überraschend geringe Rolle spielen. Schließlich entspricht das nicht den Erfahrungen mit anderen Medien. Sie erläuterte das Phänomen anhand von Beispielen. Per Videokonferenz war Eric Klopfer als vierter Keynote-Redner zugeschaltet. Der Forscher am Massachusetts Institut of Technology (MIT) präsentierte innovative Ideen für computerbasierte Simulationen und Spiele, die sich für Lernzwecke vom Kindergarten bis zum Schulabschluss eignen.

Michael Nitsche schließlich stellte ebenfalls beispielhafte Computerspiel-Projekte aus den USA vor. Er zeichnete die Entwicklung der Computerspiele in den vergangenen Jahren nach, die mittlerweile als virtuelle Welten zu regelrechten Spielplätzen der Selbstdarstellung geworden sind. Diese Entwicklung stellt die Computerspielforschung vor neue Herausforderungen. Der Vortrag von Nitsche sowie die weiteren Keynotes sind zur „Nachlese“ als Videos auf der Tagungs-Homepage verfügbar.

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Die Panels

Sechs Themenblöcke auf Deutsch und in Englisch gaben der Tagung inhaltlich Struktur. Im Rahmen von „Pädagogische und lernorientierte Zugänge“ (Panel 1) ging es um die Relevanz von Spielen für Lernen, Erziehung, Sozialisation und Bildung. Eine Frage: Wie kann mit Spielen beiläufig und informell gelernt werden? „Users and uses of computer games“ (Panel 2) stellte dagegen empirische Forschungsergebnisse in den Mittelpunkt. Was wissen wir über die Nutzung sowie über die Spielenden selbst? Der Schwerpunkt „Computerspiele und Gesellschaft“(Panel 3) sammelte wiederum Befunde zu Computerspiele als kulturelles, soziales oder ökonomisches Phänomen.

„The player-game-relation“ (Panel 4) untersuchte das Verhältnis zwischen Spiel und den einzelnen Spielenden selbst. Was macht die Faszination aus? Welche positiven und negativen Effekte können von Computerspielen ausgehen? Und wie wird Interaktivität erlebt? Demgegenüber fokussierte „Game and player cultures“ (Panel 5) die Spielkulturen und sozialen Kontexte, in welchen gespielt wird. „Computer games and game analysis“ (Panel 6) widmete sich schließlich einer detaillierte Analyse von Spielen, etwa der Frage, wie diese sinnvoll kategorisiert werden können.

Aus medienpädagogischer Sicht besonders interessant war die Analyse von Spielkulturen in Panel 5. Dazu zählt beispielsweise das Feld „E-Sport“. Tanja Adamus stellte sich die Frage, was E-Sport denn nun sei. Sport, Jugendszene oder gar Jugendkultur? Ihre Antwort: E-Sport kann als eine neue Form von Sport angesehen werden. Eine Jugendszene ist E-Sport aber nur bedingt, denn er entwickelt nicht die dafür typische Dynamik. Elemente einer jugendlichen Subkultur, wie das Auflehnen gegenüber der Erwachsenenwelt, weist E-Sport dagegen nicht auf. Das Kommunikationsverhalten beim Spielen untersuchte Judith Ackermann. Ihre These: das Spielen im sozialen Kontext wirkt sich positiv auf das Sozialverhalten aus. Entsprechende Effekte konnten sie bei der Untersuchung von LAN-Partys nachweisen. Eigenschaften wie Kooperation, Hilfsbereitschaft oder Geduld werden demnach gefördert.

Doktoranden-Forum

Im Vorfeld der Themen-Panels stand das Doktoranden-Forumauf dem Programm, wo in zwei Tracks insgesamt sieben Projekte vorgestellt wurden. Niklas Schrape etwa beschäftigt sich mit der „Rhetorik in Computerspielen“. Dazu analysiert er Spiele, die auf einen realen politischen Sachverhalt Bezug nehmen. Als konkretes Beispiel stellte er in seinem Vortrag die Handlungsoptionen im Spiel „Peacemaker“ vor, welches den Palästina-Konflikt thematisiert. Sein Fazit zu Peacemaker: die Systemstruktur des Spiels wertet bereits. So ist beispielsweise eine Strategie militärischer Stärke von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Spielenden werden dadurch zu strategischen und letztlich politischen Schlussfolgerungen gedrängt. Diese Art der Spielanalyse auf der Metaebene könnte auch der medienpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen Impulse geben, etwa um für Wirkungsaspekte zu sensibilisieren.

Wie sich Computerspiele in der Schule einsetzen lassen, genauer gesagt im Geschichtsunterricht, beleuchtete Anja Hawlitschek in ihrem Vortrag „Spielend lernen in der Schule. Serious Games zwischen Entertainment und Education“. Sie geht von der Annahme aus, dass Lernen optimal nur innerhalb einer Spielwelt erfolgen kann. Die zentrale Frage: Wie lässt sich Lernerfolg durch intrinsische Motivation steigern? Zu diesem Zweck entwickelt sie derzeit ein Serious Game zur DDR-Geschichte und evaluiert den Einsatz des Spiels.

Das knapp vierstündige Doktorandenforum umfasste noch fünf weitere Projekte zu verschiedenen Aspekten rund um Computerspiele. Die überarbeiteten Forumsbeiträge von Niklas Schrape und Anja Hawlitschek sowie von Patrick Ruckdeschel („Videospiele als funktionale Plattform“) werden in Kürze als Fachartikel auf spielbar.de erscheinen.

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Die Podiumsdiskussion

Letzter Konferenz-Höhepunkt war die Podiumsdiskussion am Samstag. Bernward Hoffmann, Heinz Moser, Jens Wiemken und Bernd Schorb diskutierten aktuelle Fragen und zukünftige Aufgaben. Heinz Moser etwa konkretisierte als Aufgabe der medienpädagogischen Forschung, Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben. Man sollte sie selbst einmal fragen, wie sie mit Computerspielen umgehen. Damit wendet er sich gegen die allgegenwärtige Wirkungsforschung, in der Kinder eigentlich nur Objekt sind und nicht selber zur Sprache kommen.

Die Podiumsdiskussion wurde ebenfalls aufgezeichnet und ist auf der Internetseite der Konferenz als Video verfügbar.

Medienpädagogisches Manifest

Die Essenz der Magdeburger Tagung wird letztlich gut im medienpädagogischen Manifest repräsentiert, das am abschließenden Konferenztag veröffentlicht wurde. Dessen zentrale Forderung ist, Medienpädagogik nachhaltig und dauerhaft in allen Bildungsbereichen zu verankern. Darüber hinaus sollen medienpädagogische Forschungsaktivitäten, insbesondere tiefreichende Untersuchungen, intensiviert werden.

Bemerkenswert ist, dass mehrere zentrale medienpädagogische Einrichtungen die Erklärung gemeinsam formulierten. Zu ihnen zählen die Kommission Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, die Fachgruppe Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis sowie das Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung.

Manifest und Podiumsdiskussion bildeten die Schlusspunkte der dreitägigen Tagung, die der Lehrstuhl für Erziehungswissenschaftliche Medienforschung in Kooperation mit der Kommission Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft ausrichtete. „GameCultures“ zählt neben „Clash of Realities“ und „Future and Reality of Games” (FROG) zu den bedeutendsten Computerspieltagungen im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren. Gefördert wurde die Veranstaltung von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Weiterführende Links

Medienpädagogisches Manifest fordert nachhaltiges Handeln

FROG 2008

Clash of Realities 2008

Weblink

Homepage der Konferenz (uni-magdeburg.de)
Tobias Miller
Dieser Artikel wurde verfasst von:

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