Lutz Schröder (2012):

Computerspiele als Zugang zur Geschiche? Das Beispiel Empire: Total War

13.06.2012
Sensibiliserung für Geschichtsthemen oder unzulässige Vereinfachung? Über historische Zusammenhängen in Games kann viel diskutiert werden. Lutz Schröder stellt in seinem Fachbeitrag daher zunächst die Frage, ob „Historienspiele“ überhaupt als neuer Zugang zu Geschichte fungieren können. Einiges spricht dafür.


Computerspiele mit Geschichtsthemen - ein Thema für die Geschichtswissenschaft


„Hinter Hindernissen wie Mauern, Zäunen und Baumstämmen gehen unsere Divisionen in Deckung. Denn jedes Geschoss folgt einer individuell berechneten Flugbahn2; wenn unsere Soldaten Glück haben, schlagen die gegnerischen Kugeln in die Barriere ein. Zudem dürfen Infanteristen Häuser besetzen – zumindest, bis der Feind die Gemäuer mit Artillerie zerbröselt. Geschütze schießen meist übers halbe Schlachtfeld, zielen aber ungenau; überdies müssen wir sie umständlich mit Pferdekarren bewegen – so war das damals eben.“ [1]


„So war das damals“ und ähnliche Aussagen finden sich häufig in der Berichterstattung in Spielezeitschriften und in der Werbung für Historienspiele. Werden Historiker oder Geschichtsdidaktiker hingegen zu diesen Spielen befragt, in denen Themen der Vergangenheit den Hintergrund für die Handlungen bilden, so fällt ihr Fazit oft deutlich nüchterner aus. Ihre Kritik richtet sich besonders gegen die starke Vereinfachung der Zusammenhänge, die fehlerhafte Übertragung von Fakten oder die Ausblendung von bestimmten Themen innerhalb der Spielwelten (u.a. Pöppinghege 2009 u. 2011, Grosch 2002).

Nun ändert die in Teilen kritische Haltung von Wissenschaftlern nichts an der anhaltenden Popularität von Historienspielen bei ihren Nutzern. Laut einer Erhebung von Angela Schwarz, ebenfalls eine Historikerin, ließen sich in den vergangenen 30 Jahren insgesamt über 1600 Spiele nachweisen, in welchen Geschichtsthemen in unterschiedlichster Form Verwendung finden. Die anhaltende Popularität spiegele sich darüber hinaus in derzeit über 100 Neuerscheinungen pro Jahr wieder (Schwarz 2010, 11). Doch nicht allein die Zahl der neuen Produktionen ist für die Bestimmung der Popularität von Interesse, sondern insbesondere ihre Nutzung. Da es bei entsprechenden Erhebungen in digialen Spielen jedoch noch keine Unterscheidung zwischen digitalen Spielen mit und ohne Geschichtsthemen gibt, beziehen sich die folgenden Daten auf die generelle Nutzung.

Für das Jahr 2010 hat der Bundesverband für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) ermittelt, dass 29% aller Deutschen ab 14 Jahren digitale Spiele nutzen. Dieser Anteil mag auf den ersten Blick gering erscheinen, doch erklärt er sich durch Einbeziehung von Menschen  über 40 Jahren. Da jene Spiele erst seit Ende der 80er Jahre zunehmend populär wurden, sind Menschen ab dem genannten Alter in ihrer Kindheit und Jugend, dem Altersabschnitt in dem der erstmalige Kontakt mit diesem Medium meist stattfindet, noch nicht mit dieser Unterhaltungsform aufgewachsen. Dadurch sinkt der Anteil der Gamer an der Gesamtbevölkerung. Bestätigt wird dies, wenn die Bitkom-Zahlen zu den jüngeren Spielern betrachtet werden. Bei den 14- bis 39-Jährigen beträgt der Anteil gemittelt 60%, in der ersten erfassten Altersgruppe, den 14– bis 19-Jährigen, sogar 80% (Bitkom 2010). Folglich sind digitale Spiele eine Form der Unterhaltung, die sich großer Beliebtheit erfreuen, sowohl bei Jugendlichen, als auch bei vielen Volljährigen.

In diesem Artikel möchte ich daher am Beispiel des im 18. Jahrhundert angesiedelten Strategiespiels Empire: Total War (E:TW, Sega 2009) erläutern, wie Themen der Geschichte spielerisch aufbereitet und einem interessierten Publikum zugänglich gemacht werden. Grundlegenden Fragen zur spielerischen Aufbereitung von historischen Kriegen, folgen Überblicke zum Aufbau von digitalen Spielen generell und zur Simulation konkreter historischer Details in einer virtuellen Welt. Schließlich werden an Hand einer typischen Situation in E:TW verschiedene Potentiale aufgezeigt, die Historienspiele interessant machen, wenn an Geschichtsthemen herangeführt werden soll.

Dürfen historische Kriege in Spielen Spaß machen?


Neben der großen Zahl an Spielern und der Verbreitung von historischen Themen in Spielen sind auch Aussagen über besonders verbreitete Inhalte möglich. Schwarz hat neben den erschienenen Titeln auch festgestellt, dass sich insbesondere Konflikte sehr häufig in virtuellen Welten wiederfinden.[2] Während diese Feststellung relativ leicht an Hand der Inhaltsangaben möglich ist, stellt sich jedoch bei konfliktbezogenen Themen wie Kampf, Verwundung, Tod und detaillierten Darstellungen verschiedener Militaria fast zwangsläufig die Frage, ob es legitim ist, diese neben friedlicheren Szenarien ebenfalls spielbar zu machen - schließlich ist das Thema Krieg ein sehr kontroverses.

Sollte es also überhaupt Historienspiele geben, die dem Spieler das Agieren in nachgestellten realen Kriegsszenarien erlauben, oder sollten sich Spiele, wenn schon kein Verzicht auf Kampf und Tod möglich ist, dann nicht zumindest auf fiktive Szenarien beschränken? Werden Spiele mit kontrovers diskutierten Inhalten gar aufgewertet, wenn sie nicht nur produziert und gespielt, sondern auch erforscht werden? Dürfen Spiele Spaß machen, auch wenn der Spieler etwa über einen virtuellen Soldaten selbst zu den Waffen greift? Hat die Geschichtswissenschaft vielleicht eine bestimmte Rolle einzunehmen - etwa die des Mahners oder doch eher die des nüchternen Betrachters? Diese und viele andere Fragen wurden von Historikern bislang kaum behandelt. Zur besseren Einordnung der späteren Aussagen, sollen sie daher nun kurz erläutert werden.

Was die Legitimität von Realitätsbezügen angeht, so erscheint sie allein schon deshalb gegeben, weil es in der gesamten Menschheitsgeschichte Akte von Gewalt gegen andere Völker, Nationen oder auch die eigene Bevölkerung gegeben hat, was die Feststellung erlaubt, dass Krieg ein scheinbar ewiger Begleiter der Menschheit ist. Kriege wurden zudem nicht nur in Schule und Museum aufbereitet, sondern gerade auch in populären Unterhaltungsmedien, wie Büchern, Comics und Fernsehsendungen bis hin zum abendfüllenden Kinofilm. Somit findet bereits seit langem eine vielschichtige mediale Aufbereitung dieser negativen Ereignisse statt.

Würden Spiele dabei ausgegrenzt, nur weil sie ihren Nutzern die aktive Teilhabe am Geschehen erlauben, so hätte dies zur Folge, dass mögliche Auswirkungen des Spielens, wie etwa die Aneignung einseitiger Geschichtsbilder oder die Verharmlosung von Krieg, nicht erkannt würden. Denn bei aller Skepsis gegenüber Historienspielen darf nicht übersehen werden, dass Gamer so lange auf virtuellen Schlachtfeldern unterwegs sein werden, wie sie sich von den dazugehörigen Spielkonzepten angesprochen fühlen.

Die fachwissenschaftliche Beschäftigung mit jenen Spielen ist also folglich keine Aufwertung von etwaigen moralisch fragwürdigen Handlungsoptionen, sondern eine schlichte Notwendigkeit, wenn die Rezeption der Spiele und der Reiz ihrer Nutzung verstanden werden sollen. Denn auch wenn von Seiten der Publisher immer wieder mit Authentizität und Realismus geworben wird,[3] so darf nicht vergessen werden, dass Spiele letztlich so entworfen werden, dass sie Spaß machen und Herausforderungen bieten. In der Rezeptionsforschung ist es deshalb von zentraler Bedeutung, dass sich Untersuchungen nicht nur auf die bereits genannten kritischen Aspekte beschränken, sondern insbesondere auch die spezifischen Besonderheiten in den Fokus zu rücken, die den Reiz des „Nachspielens“ von Geschichte ausmachen.

Was macht ein Spiel zum Spiel?


Über die Einbindung in die erzählte Story, interessante Spielszenarien und verschiedenste weitere Stil- und Hilfsmittel gelingt es Spielen, ihre Nutzer an sich zu binden, so dass diese bereit sind, sich über viele Stunden mit ihnen zu beschäftigen. Die Herausforderung für die Wissenschaft besteht also folglich darin, die in Spielen enthaltenen Stil- und Hilfsmittel zu identifizieren, um ihre Vorteile auch für andere Vermittlungsformen von Geschichtsthemen nutzbar zu machen.

Einen Ansatz hierzu stellt die Ludologie da, die sich nicht nur auf die erzählte Geschichte beschränkt, sondern insbesondere die Spielwelten und die Einbindung des Spielers in diese untersucht. Sie beginnt bereits bei den Spielinterfaces, die als Verbindung zwischen dem Spieler vor dem Computer und dessen Avatar innerhalb der virtuellen Welt fungieren. In dieser findet nicht nur das Geschehen statt, in ihr werden auch die Geschichte erzählt und dem Spieler bestimmte zu erfüllende Aufgaben gestellt. Auch dem Feedback kommt eine wichtige Rolle zu, da es dem Spieler anzeigt, was seine Handlungen für Folgen haben. Zu diesen zählen nicht nur die unmittelbar auf dem Bildschirm sichtbaren, sondern gerade auch jene, die sich im Hintergrund entwickeln und etwa durch zu erfüllende Spielziele repräsentiert werden.

Der verbindende Faktor dieser und zahlreicher weiterer Aspekte ist das Regelsystem. Dies legt nicht nur die Beschaffenheit der Spielwelt fest, sondern auch die Möglichkeiten des Spielers innerhalb dieser und die Spielziele, die es zu erfüllen gilt, um zu gewinnen. Bei Historienspielen zählt hierzu etwa die Simulation realer Themen in einer virtuellen Welt. Da diese gänzlich künstlich ist und in ihr nicht einmal Naturgesetze gelten, ohne dass die Programmierer sie integrieren, stellt dieser Übertragungsprozess von real zu virtuell einen der zentralen Bereiche da, wenn Geschichtsthemen in Spielen betrachtet werden.

Hierbei darf außerdem nicht außer Acht gelassen werden, dass sich zahlreiche Aspekte nicht eins zu eins übertragen lassen, weil sie das Spiel andernfalls unspielbar machen würden. Daher sind Vereinfachungen, etwa bei den möglichen Handlungen oder den Folgen von diesen, nicht nur sehr verbreitet, sondern oftmals sogar notwendig, um dem Spieler einen leichten Zugang zu den präsentierten Themen zu ermöglichen. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass Spiele eine Welt simulieren und sich dabei auf ausgewählte Aspekte konzentrieren (Frasca 2003). Diese Reduzierung der Möglichkeiten erlaubt dem Gamer die Ausführung von konkreten Handlungen ohne die in der Realität notwendigen jahrelangen Lernprozesse.

Im Fall des im Folgenden beispielhaft erläuterten Strategiespiels Empire: Total War kann der Spieler unter anderem Armeen aufbauen und diese ins Feld führen. In der realen Welt müsste er hierzu bereits eine lange Karriere in Politik oder Militär vorweisen können, in der er sich mit allen für diese Tätigkeiten notwendigen Anforderungen und Abläufen vertraut machen konnte. Im Spiel reichen hingegen einige Mausklicks. Folglich ist die Bedienung des Spiel sehr schnell zu erlernen, wodurch der Spieler ohne Umschweife in das Geschehen einsteigen kann.

Die Simulation von Geschichte


So seltsam es auf den ersten Blick klingen mag, dass mediale Darstellungen, die von Historikern und Geschichtsdidaktikern als vereinfachend bis verfälschend bezeichnet werden, auch positive Auswirkungen haben können, so naheliegend sind ihre Potentiale, wenn die geschilderten ludologischen Merkmale auf die präsentierten historischen Themen angewandt werden. Dies soll nun am Beispiel einer typischen Szene aus dem Spiel Empire: Total War erläutert werden.

Der Nutzer wählt zu Beginn eine der großen Nationen jener Zeit aus und führt sie zu Macht und Wohlstand. Zur Auswahl stehen unter anderem Großbritannien, Frankreich, Russland, Österreich und Preußen. Das zentrale Spielziel ist bei den meisten Spielmodi die Erlangung der Kontrolle über bestimmte Gebiete. Wie der Name der Reihe („Total War“) bereits andeutet,[4] stehen hierzu weniger die großen gesellschaftlichen Entwicklungen jener Zeit im Vordergrund, sondern vor allem militärischer Konflikt. Dieser steht jedoch mit weiteren Bereichen, wie Diplomatie, Wirtschaft und Forschung in Zusammenhang.

So muss der Spieler nicht nur die finanziellen Mittel für die Ausbildung von Soldaten aufbringen, sondern auch sicherstellen, dass er sich ihren Unterhalt künftig leisten kann. Einnahmen werden durch Steuern generiert, deren Höhe neben dem Steuersatz insbesondere über den Bau von Produktionsstätten, welche die Wirtschaftsleistung stärken, beeinflusst werden können. Auch überseeische Handelsniederlassungen und Handelsabkommen mit anderen Nationen sind von großer Bedeutung für die Staatskasse. Daneben kommt auch der Forschung eine wichtige Rolle zu, da wissenschaftliche Entdeckungen nicht nur Einfluss auf die Wirtschaft und die Bevölkerungentwicklung haben, sondern auch die Organisation und Ausbildung des Militärs verbessern und neue Truppenarten ermöglichen.

Um die Bereitschaft des Spielers zu fördern, dieses Gemenge an Zusammenhängen zu verstehen, hält sich E:TW an zwei wichtige Prämissen digitaler Spiele: Spielspaß und Spielbarkeit. Der Spielspaß entsteht, wenn der Spieler durch seine Handlungen Fortschritte erzielt und durch ein Belohnungssystem von diesen profitiert - etwa in Form einer technischen Neuerung, die ihm zuvor Unmögliches erlaubt. Neben dem Belohnungssytem ist auch Abwechslung im Spielgeschehen von großer Bedeutung, weil diese dafür sorgt, dass das Gameplay spannend und fordernd bleibt. Der Spielspaß in E:TW dient also nicht dazu, schnelle und leichte Erfolgserlebnisse zu vermitteln, sondern „delayed grafitication[s]“ (Johnson, 2005, 41), die es erforderlich machen, dass der Spieler sich ausführlich mit der Frage beschäftigt, wie er vorgehen muss, um konkrete Ziele zu erreichen.

Eng mit dem Spielspaß verknüpft ist die Spielbarkeit der Geschichtsthemen, die im folgenden Kapitel an Hand einer Spielszene beschrieben wird. Während Kenntnisse über die Steuerung und die Handlungsoptionen des Spielers grundsätzlich zu vermittelnde Elemente in einem digitalen Spiel darstellen, bedingt das Spielkonzept von E:TW noch weitere. Da der Spieler nicht nur die Rolle eines Herrschers übernimmt, sondern der Titel zudem vor über 300 Jahren beginnt, wird es erforderlich, sowohl Informationen über die typischen Aufgaben des genannten Akteurs zu vermitteln, als auch über die thematisierte Zeit, weil nicht davon auszugehen ist, dass sich die Spieler in beiden Bereichen auskennen.


Die beiden Berater: Die Dame erklärt die zivilen, der Herr die militärischen Themen. (Screenshots).
Neben dem learning-by-doing Prinzip erfolgt die Vermittlung jener Kenntnisse unter anderem über das Handbuch, einführende Tutorials und Kommentare der beiden Berater, die situationsbezogen Ratschläge geben. Außerdem hat der Spieler die Möglichkeit Hilfetexte aufzurufen, die zu zahlreichen Themen verfügbar sind und ihm weitere Kenntnisse vermitteln. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die zwei Handlungsebenen des Spiels: die Kampagnenkarte und der Schlachtenmodus. Erstere wird über eine Landkarte der gesamten Spielwelt dargestellt und ist der zentrale Ort für alle Entscheidungen, die keine unmittelbaren Kampfhandlungen betreffen, also etwa Politik, Wirtschaft und Forschung. Die Kampagnenkarte ist ähnlich dem klassischen Schachspiel rundenbasiert, so dass alle Nationen nacheinander an der Reihe sind und erst nach Beendigung der laufenden Runde erfahren, wie sich getroffene Entscheidungen auswirken. Der Spieler kann dafür jedoch beliebig lange überlegen und sein Vorgehen planen. Dies erzeugt Spannung, weil dieser vor Beendigung der laufenden Runde nicht nur planen muss, welche Entscheidungen für „seine“ Nation notwendig bzw. möglich sind, sondern auch zu überlegen hat, wie sich seine Gegner verhalten könnten.

Im Schlachtenmodus, in dem alle Kampfhandlungen ablaufen, muss er hingegen in Echtzeit auf Angriffe seiner Gegner reagieren oder kann eigene ausführen. Ohne die zuvor geschilderte rundenbezogene Bedenkzeit sieht er einerseits zwar sofort, wie sich seine Gegner verhalten, muss andererseits jedoch auch angemessen agieren, um die Schlacht zu gewinnen. Dies führt zu Teils großer Dramatik, da er oftmals auf clevere Gegner trifft, die es erforderlich machen, durch die Entwicklung situationsabhängiger Taktiken statt großer zahlenmäßiger Überlegenheit zu gewinnen, denn Ausbildung und Unterhalt großer Armeen sind sehr teuer.

Eine österreichische Armee greift das preußische Breslau an (Screenshot).
Eine österreichische Armee greift das preußische Breslau an (Screenshot).
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass E:TW zwar ein Konvolut aus verschiedenen Möglichkeiten bietet, sie dem Spieler jedoch verständlich erklärt und spannend präsentiert. Durch die Lenkung einer Nation wird dieser in eine Rolle versetzt, die ihm aus dem Alltag nicht vertraut ist und muss sich daher zunächst in seine neuen „Aufgaben“ hineinfinden. Die Bereitschaft dazu wird dadurch gefördert, dass der Spieler zwar zeitnah erkennen kann, welche unmittelbaren Folgen sein Handeln hat, jedoch auch in der Lage ist, langfristige Strategien zu entwickeln und diese nach und nach zu verwirklichen, so dass er Fortschritte bei der Erreichung der Spielziele macht.


Die Österreicher greifen an!


Am Beispiel einer Belagerungsschlacht sollen diese allgemeinen Aussagen zum Umgang mit den Geschichtsthemen nun erläutert werden. Ausgewählt wurde die Abwehr eines Angriffs auf die vom Spieler (Preußen) kontrollierte Stadt Breslau. Der Sieg ist dann erreicht, wenn es gelingt die Stadt so lange zu verteidigen, bis sich die feindliche Armee zurückzieht. Im Gegenzug gewinnt Österreich, wenn alle Verteidiger getötet oder der zentrale Platz der Stadt erobert ist.[5]

Um den Sieg zu erringen, ist neben dem effektiven Einsatz der eigenen Streitkräfte eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen der beteiligten militärischen Einheiten notwendig. Linieninfanterie,[6] einer im Spiel wie auch im realen 18. Jahrhundert sehr verbreiteten Infanteriegattung, war es etwa möglich, ihre Musketen in Salven abzufeuern. Auf Grund des zeitaufwendigen Nachladevorgangs der damals verwendeten Musketen konnte bis zur Entwicklung entsprechender Drills jedoch nur die vorderste der Linien eine Salve abfeuern und war bis zum Ende des aufwendigen Nachladevorgangs nicht in der Lage sich effektiv zu verteidigen.

Das Schussverhalten „gliedweises Feuern“ bei einer Einheit Linieninfanterie (Screenshot).
Das Schussverhalten „gliedweises Feuern“ bei einer Einheit Linieninfanterie (Screenshot).
Um die Zahl der Salven zu erhöhen, kann der Spieler verschiedene historische Schussdrills erforschen. Einer davon, dass so genannte „gliedweise Feuern“, sah etwa vor, dass die Soldaten einer Linie nach dem Abfeuern einer Salve in die Hocke gingen und in dieser Position nachluden, während die hinter ihnen stehende Linie ihrerseits feuerte. Dies setzte sich so lange fort, bis die vorderste Linie nachgeladen hatte und erneut schießen konnte. Diese Taktik schützte die Nachladenden etwas gegen gegnerischen Beschuss, da sie ein kleineres Ziel abgaben, während die Einheit als Ganzes häufiger schießen konnte. Folglich erhöhte sich die Schlagkraft deutlich.

Im Beispiel können sich die preußischen Verteidiger besser gegen die österreichischen Truppen verteidigen, wenn diese den Schussdrill nicht beherrschen, weil den Angreifern durch die häufigeren Salven größere Verluste zugefügt werden. Diese führen wiederum zu einer Erodierung der Moral der österreischischen Einheit, die schließlich zur Flucht vom Schlachtfeld führt. Diese Taktik ist im Spiel, wie auch bei den historischen Vorbildern, gegen vergleichbar ausgestatte Soldaten effektiv, machte die in Linien aufgestellten Einheiten jedoch auch anfällig gegenüber Flankenangriffen durch schnelle Kavallerie.

Entsprechende Situationen aus der Geschichte finden sich auch in E:TW wieder. Anders als in literarischen oder bildlichen Darstellungen vergangener Ereignisse, findet im Spiel eine Immersion in die Spielwelt statt, wodurch es erforderlich wird, dass sich der Spieler mit entsprechenden Gegebenheiten auseinandersetzt, um nicht im unpassenden Moment mit ihren Folgen konfrontiert zu werden. Während kritisiert werden kann, dass diese aktive Beteiligung die in der Geschichtswissenschaft wichtige Rolle des neutralen Beobachters negiert wird, ermöglicht die aktive Einbindung des Spielers in das Geschehen jedoch einen gänzlich neuen Zugang zu Geschichtsthemen.

Spielerisch Geschichte(n) lernen?


Dieser neue Zugang hängt damit zusammen, dass der Spieler in typischen Ingame-Situationen, wie der Bedrohung der Spielfigur oder der „eigenen“ Nation, wesentlich stärker involviert wird und darauf bedacht ist, situationsabhängige Lösungen für die auftretenden Bedrohungen zu finden, da er sonst keine Fortschritte machen und das Spiel nicht gewinnen kann. Zu diesem Zweck bieten Spiele wie E:TW eine große Zahl an komplexen Möglichkeiten an, die der Spieler zunächst verstehen muss, bevor er in der Lage ist auf eine Bedrohung zu reagieren und diese und etwaige künftige Gefahren abzuwenden.

Wie ich in meiner Masterarbeit (Schröder 2011) klären konnte, in der ich Lernpotentiale von Historienspielen im Sinne der Game-based Learning Theorie (Prensky 2009) untersuchte, bietet E:TW hierbei eine große Zahl an historisch belegbaren Details und Zusammenhängen. Jedoch stellte ich auch fest, dass nur kleine Ausschnitte aus der realen Geschichte gezeigt werden, sozusagen Geschichten aus der Geschichte. Dies äußert sich bereits bei der Schwerpunktsetzung von E:TW, bei der einerseits militärhistorische Aspekte, wie das Verhalten von Soldaten und Schiffen während einer Schlacht, sehr detailliert dargestellt werden, andererseits der Alltag jenseits des Kampfgeschehens jedoch komplett fehlt. Folglich stellt E:TW keine akkurate und umfassende Darstellung historischer Ereignisse da, wie sie Fachliteratur bietet, sondern simuliert hingegen vor allem Zusammenhänge und gegenseitige Abhängigkeiten verschiedener Aspekte.

Beispiel für die Karree Formation: „The 28th Regiment at Quatre Bras“, Öl auf Leinwand, 1875 gemalt von Elizabeth Thompson
(Quelle: Wikimedia Commons)
Beispiel für die Karree Formation: „The 28th Regiment at Quatre Bras“, Öl auf Leinwand, 1875 gemalt von Elizabeth Thompson (Quelle: Wikimedia Commons)
Am Beispiel der zuvor beschriebenen Linieninfanterie lassen sich diese anschaulich verdeutlichen. Wie erwähnt ist diese sehr anfällig gegenüber Flankenangriffen, weil ihre gesamte Kampfkraft in eine Richtung ausgerichtet ist. Als Gegenmaßnahme hierzu wurde in der frühen Neuzeit nicht nur das Karree entwickelt, welches die Verteidigung in alle Richtungen erlaubte, sondern auch verschiedene Bajonettarten, durch welche Musketen im Nahkampf ähnlich wie Piken einsetzbar wurden.

Dieser Ausschnitt beschreibt lediglich einige kleine Aspekte des E:TW-Gameplays, das für die Erreichung des Ziels - der Erlangung der Kontrolle über Gebiete - notwendig ist. Diese und zahlreiche weitere stehen ebenfalls in direkter oder indirekter Beziehung, so dass im Spiel militärgeschichtliche Themen zwar den Kern bilden, der jedoch von einem komplexen Netz aus zahlreichen weiteren Aspekten umgeben ist.

Fazit


Können Historienspiele als neuer Zugang zu Geschichtsthemen fungieren? Dies war die zu Beginn dieses Textes gestellte Frage. Ihre fundierte Beantwortung gestaltet sich angesichts noch fehlender Studien schwierig. Allerdings legt sowohl die thematische Vielfalt, als auch die große Zahl an bereits erschienenen Historienspielen den Rückschluss nahe, dass diese bestimmte Bedürfnisse befriedigen, die über andere Formen der Geschichtsdarstellung, angefangen beim Schulunterricht bis zu Film, Fernsehen und Internet, nicht in vergleichbarem Maße abgedeckt werden können.

Ein wichtiger Teil der Popularität könnte ausgerechnet bei dem Angebot der Spiele zu finden sein, der von der Wissenschaft kritisiert wird, nämlich die Abkehr von der reinen Beobachtung der Vergangenheit hin zu einem aktiven Akteur innerhalb eines historischen Szenarios. Gleich ob dieser in konkreten was-wäre-wenn Szenarien agiert und die bekannte Geschichte durch seine Handlungen umschreibt oder - wie im Fall von E:TW - im Jahr 1700 in das Geschehen einsteigt und durch seine Entscheidungen sogar weltweite Entwicklungen herbeiführen kann - jene Spiele betonen die Möglichkeiten des Spielers. In Kombination mit packenden Geschichten und vielfältigen Herausforderungen bieten sie damit einen Zugang zu Geschichtsthemen, der sich sonst in keinem anderen Medium findet. Dabei könnte ebenfalls von Bedeutung sein, dass Spiele in den seltensten Fällen den Anspruch erheben über die Vergangenheit informieren zu wollen. Stattdessen findet die Vermittlung von Informationen neben dem eigentlichen Spielgeschehen statt.

Auch wenn noch nicht geklärt ist, ob diese Besonderheiten von digitalen Spielen das Interesse an historischen Themen steigern oder gar die Erinnerung an vergangene Ereignisse prägen, bieten sie jedoch auf jeden Fall die Chance auf einen generationsübergreifenden Austausch, der gerade auf etwaige inhaltliche Defizite zurückgeht. Die aktuelle Generation Lernender ist, wie zu Beginn erläutert, mit Spielen sehr vertraut, während den Lehrenden und der Elterngeneration diese Vertrautheit meist fehlt.

Durch den Dialog dieser unterschiedlichen Generationen können alle Akteure profitieren. Während die Lernenden in die Lage versetzt werden „ihre“ Spiele und deren Inhalte differenzierter zu betrachten, indem etwa Mängel bei den Geschichtsdarstellungen oder unterschiedliche Aufbereitungsformen im Bezug auf andere Medien aufgezeigt werden, können die älteren Generationen erfahren, was den Reiz von Spielen ausmacht, mit denen sie nur wenig vertraut sind. Im Ergebnis erscheint ein Erkenntnisgewinn wahrscheinlich, der bei allen Beteiligten nicht nur dazu führt, Historienspiele besser einschätzen zu können, sondern auch das Wissen über die präsentierten Geschichtsthemen mehrt, weil sich die Richtigstellung von inhaltlichen Fehlern nicht in ihrer Identifizierung erschöpft, sondern erst durch die anschließende Berichtigung abgeschlossen wird.

Es lässt sich also feststellen, dass Historienspiele wie E:TW große Potentiale bei der Heranführung an Geschichtsthemen bieten. Ihre Ausschöpfung bedarf jedoch der Zusammenarbeit aller Akteure, so dass Lernende und geschichtsinteressierte Laien auf der einen und Lehrende und Wissenschaft auf der anderen Seite von den geschilderten Kenntnissen und Erfahrungen der jeweils anderen Seite profitieren.

Literatur


Bicheno, Hugh: s.v. „Total War“, in: Holmes, Richard (Hg.): The Oxford Companion To Military History, Oxford 2001, S. 915f.

Bundesverband für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom): Pressekonferenz „Gaming: Markt und Trends“ vom 11. August 2010, online unter: www.bitkom.org/files/documents/Praesentation_PK_Gaming_11_08_2010.pdf (17.05.2012).

Frasca, Gonzalo: Simulation versus Narrative. Introduction to Ludology, in: Perron, Bernard; Wolf, Mark J. P. (Hg.): The Video Game Theory Reader, Bd. 1, New York 2003, 221–236.

Görig, Carsten: Angespielt. Empire - Total War, online unter: www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,619900,00.html(17.05.2012).

Graf, Michael: Empire: Total War in der Vorschau. Große Strategie-Hoffnung, Artikel vom 21.01.2009 auf Gamestar.de, Online unter: www.gamestar.de/spiele/empire-total-war/artikel/empire_total_war,43567,1952937.html (17.05.2012).

Grosch, Waldemar: Computerspiele im Geschichtsunterricht (Wochenschau Geschichte, 2), Schwalbach/Ts 2002.

Johnson, Steven: Everything Bad Is Good For You. How Today's Popular Culture Is Actually Making Us Smarter, New York 2005.

Pöppinghege, Rainer: Ballern für den Führer. Der Zweite Weltkrieg im Computerspiel, in: Steinberg, Swen; Meißner, Stefan; Trepsdorf, Daniel (Hg.): Vergessenes Erinnern. Medien von Erinnerungskultur und kollektivem Gedächtnis (Impulse, 1), Berlin 2009, 105–120.

Pöppinghege, Rainer.: Pedanterie im Cyberspace. Zum Geschichtsbewusstsein von Computerspielen, in: GWU 62.7+8 (2011), 459–468.

Prensky, Marc: Digital game-based learning, St. Paul 2007.

Schröder, Lutz: Spielerisch Geschichte lernen? Analyse von unterhaltsamen Computerspielen mit historischem Kontext und ihre Verwendbarkeit im Game-based Learning, unveröffentlichte Masterarbeit, Hamburg 2011.

Schwarz, Angela: Computerspiele - ein Thema für die Geschichtswissenschaft?, in: Dies (Hg.): „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf ihre Gegner werfen?“. Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medienwelten, 13), Münster 2010, 7–28.

Anmerkungen


[1] Zitat in: Graf: Empire: Total War in der Vorschau.

[2] Shooter-Spiele und Strategiespiele machen zusammen 55,9% aller Historienspiele aus, wobei Strategiespiele mit 44,9% den größten Anteil haben. Werden auch Fahrzeugsimulationen hinzugerechnet, die ebenfalls häufig Kampfhandlungen thematisieren, dann steigt der Anteil der konfliktzentrierten Historienspiele um weitere 13,7% auf 69,6%. Vgl.: Schwarz: Computerspiele, S. 12.

[3] Beispiele wären: „Spielen Sie die noch realistischere, ergreifende und historisch exakte Simulation….“ Zitat in: Beschreibung auf der Verpackung zu Silent Hunter 4: Wolves of the Pacific. „Fortgeschrittene Waffentechnologie bietet neue taktische Möglichkeiten (…), wobei die unglaublich detailreichen Umgebungen und verbesserten Gebäude auf dem Schlachtfeld für ein noch realistischeres Erlebnis berühmter historischer Schlachten ermöglichen.“ Zitat in: Beschreibung auf der Webseite zum Spiel Napoleon: Total War, www.totalwar.com/napoleon/gameinfo/synopsis.php (17.5.2012).

[4] Anders als in einigen deutschen Presseartikeln angedeutet (z.B. „Eine Frage aber bleibt: Warum die Reihe nicht endlich auf den gerade in Deutschland abschreckenden Titel ‚Total War‘ verzichten kann.“ Zitat in: Görig: Empire - Total War), ist der Titel kein Bezug auf Goebbels‘ „Sportpalastrede“, sondern ein Begriff aus der angloamerikanischen militärgeschichtlichen Forschung: „Total war is one in which the whole population and all the resources of the combatants are committed to complete victory and thus become legitimate military targets.“ Zitat und ausführliche Beschreibung des Begriffs in: Bicheno: s.v. „Total War“. Als Konfliktbeispiele, die einige der genannten Merkmale erfüllen, werden neben dem Ersten und Zweiten Weltkrieg unter anderem auch der Vietnamkrieg, die französischen Revolutionskriege und der dritte Punische Krieg genannt.

[5] Letztere Bedingung entfällt, wenn die Stadt keinen solchem Platz hat.

[6] Die historische Linieninfanterie erhielt ihren Namen von der Aufstellung in der Schlacht, die mehreren hintereinander stehenden Linien entsprach, der so gennannten Linearformation.
Lutz Schröder
Dieser Artikel wurde verfasst von:

Siehe auch

Spielbeurteilung

Napoleon: Total War

Historische Schlachten auf dem Land und zu Wasser, fesselnde Echtzeitgefechte und taktisch herausfordernde Kampagnen. Die SpieL.E.tester aus Leipzig testen für uns das aktuelle Spiel der Total War Serie. Für Strategen und Geschichtsinteressierte.

Patrick Lenz (2015):

Erster Weltkrieg virtuell – historisches Lernen im Computerspiel?

Wie können Computerspiele mit historischen Inhalten im pädagogischen Kontext nutzbar gemacht werden? Patrick Lenz nähert sich dem Thema und stellt unterrichtsdidaktische Überlegungen an zum Einsatz von Computerspielen im Geschichtsunterricht am Beispiel von Valiant Hearts: The Great War.

Nico Nolden (2016):

Geschichtserfahrungen und Erinnerungskultur bei digitalen Spielen

Wie inszenieren digitale Spiele Geschichte? Historiker Nico Nolden legt dar, wie sich geschichtliche Vorstellungen auch in fiktiven Spielen wiederspiegeln und deckt auf, was abseits historischer Fakten in digitalen Spielen verborgen liegt.

Bildnachweise

[1]Napoleon: Total War / SEGA / store.steampowered.com

1 Kommentar

Tobias Miller (Redaktion spielbar.de) schreibt:

Unter dem Titel "Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?" erscheint in Kürze ein Sammelband, der sich mit historischen Inhalten in Computerspielen befasst. Im Zentrum stehen Erkenntnisse für die Geschichtswissenschaft, die sich bisher noch kaum mit Computerspielen befasst hat.

Ankündigung beim LIT Verlag:
http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-10267-6

24.07.2012 um 13:42


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